Natürlich darf man den
Holocaust leugnen! -
Der
Cartoonist und "Maus"-Erfinder Art Spiegelman kritisiert, dass in den
meisten Ländern Europas das Leugnen das Holocaust verboten ist. Tatsächlich
muss das Recht auf Beleidigung für alle gelten.
Als Art
Spiegelman Ende der 80er-Jahre die Geschichte zweier Holocaust-Überlebenden –
seiner Eltern – als Comic zeichnete, war das ein Tabubruch. Die deutsche
Gesellschaft reagierte verstört. Die Bibel als Comic, das ging noch. Aber die
heilige Erzählung der geläuterten Täter-Nachfahren, eine Geschichte von Schuld
und Sühne und der Gnade der späten Geburt – die sollte sakrosankt sein.
Inzwischen
gilt Spiegelmans "Maus"
als Klassiker und wird – das schlimme Schicksal aller
Klassiker – auch in Schulen verwendet; so geht es Provokateuren, jedenfalls in
offenen Gesellschaften. Ob man eines Tages auch die Mohammed-Karikaturen von
"Jyllands-Posten" und "Charlie Hebdo" oder die
"Satanischen Verse" von Salman Rushdie im Unterricht studieren und
ruhig das Pro und Con solcher Provokationen diskutieren können wird?
Spiegelman jedenfalls hat sich im
Gespräch mit der "Zeit" enttäuscht über die Printmedien seiner
amerikanischen Heimat geäußert, die sich – sei es aus Angst vor Muslimen, sei
es aus Rücksicht auf deren Gefühle (die Grenzen sind ja fließend) – weigerten,
die "Charlie Hebdo"-Karikaturen abzudrucken.
Spiegelman wäre nicht Spiegelman,
hätte er es bei dieser Verteidigung des Rechts auf Beleidigung des Islam
belassen. Im gleichen Interview beklagt er die in Frankreich eingeleiteten
Verfahren gegen den antisemitischen Komiker Dieudonné und an die 70 weitere Bürger, denen
"Verteidigung des Terrorismus" vorgeworfen wird. Wenn schon, so
Spiegelman, müsse das Recht auf Beleidigung und Beleidigtwerden für alle
gelten.
Auch deshalb kritisiert er das in
Deutschland und den meisten Ländern der Europäischen Union bestehende Verbot
der Holocaust-Leugnung: "Mein Herz und mein Kopf schlagen da
unterschiedliche Richtungen ein. In meinem Herzen denke ich: 'Fuck you, you
bastard Nazi shit.' Aber wenn man Holocaust-Leugnung unter Strafe stellt,
verschwindet diese Haltung ja nicht. Es gibt immer noch die gleichen verrückten
Faschisten, die nur darauf warten, endlich sagen zu dürfen: 'Damals wurden nur
acht Leute umgebracht, und die Öfen waren zum Brotbacken!'"
Genau. Wer den Holocaust leugnet,
ist ein bastard Nazi shit, ob er nun David Irving oder Mahmud Ahmadinedschad heißt.
Wer noch Ehre im Leib hat, wird solchen Leuten weder die Hand noch ihren
Ansichten eine Plattform geben. Er wird ihnen aber auch nicht den Gefallen tun,
ihre Ansichten verbieten zu lassen – so, als wären sie so gefährlich, dass man
ihnen anders nicht beikäme.
Es ist
absurd, dass man den Holocaust nicht leugnen darf, wohl aber den Völkermord an
den Sachsen, Preußen, Tasmanen, Hereros, Armeniern, oder Tutsi; die Massaker
der kroatischen Ustascha an den Serben oder der Serben an den Bosniaken; die
Massenmorde Stalins, vor allem in der Ukraine, Maos und Pol Pots und so weiter
und so fort.
Ja, die Leugnung
des Holocaust beleidigt nicht nur die schwindende Schar der Überlebenden; sie
besudelt ihre Erinnerung und ist überdies ein Schlag ins Gesicht dessen, was
ein britischer Richter im Fall David Irvings die "Heiligkeit der
Fakten" nannte. Und all das sollte durch die Meinungsfreiheit gedeckt
werden. Wozu wäre sie sonst da? Nur sicherzustellen, dass das Wahre, Schöne und
Gute gesagt werden darf?
Anscheinend.
Denn in der gesamten EU soll demnächst nicht nur die Leugnung des Holocaust
verboten, sondern die "öffentliche Duldung, Leugnung oder massive
Trivialisierung von Genozid-Verbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und
Kriegsverbrechen" mit einem bis drei Jahren Gefängnis bestraft werden
müssen. Müssen! Womit jeder Historiker oder Publizist, der sich mit solchen
Themen beschäftigt, Gefahr läuft, zum Gesetzesbrecher zu werden, wenn er sie
"trivialisiert".
Das gleiche
Gesetz will die Verbreitung "von Traktaten, Bildern oder anderem
Material" unter Strafe stellen, das sich "gegen eine Gruppe von
Personen oder ein Mitglied einer solchen Gruppe definiert durch Rasse,
Hautfarbe, Religion, Abstammung oder nationale oder ethnische Zugehörigkeit
richtet". Damit wird das Verbot der Religionskritik in Europa wieder
eingeführt. In der Praxis wird das auf ein Verbot der Islam-Kritik
hinauslaufen.
Freilich ist
das eine logische Folge des Verbots der Holocaust-Leugnung. Wie sagt Art
Spiegelman: "Man muss 'Charlie Hebdo' als ein Magazin, das in jede
Richtung beleidigt, einfach lieben. Ich glaube, das ist die einzige Position,
die irgendwie Sinn hat. Wenn man anfängt, gegenüber einer Gruppe vorsichtig zu
sein und Rücksicht zu nehmen und gegenüber anderen nicht, dann ist es schon
vorbei mit der Meinungsfreiheit."
Von (DIE WELT)
Von (DIE WELT)
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