Als mein Vater Heinz Ueckert im
Jahre 1947 aus russischer Kriegsgefangenschaft nach Deutschland zurückkam, war
das Land nicht mehr wie zu Kriegsbeginn
1939.
Ostpreußen, Westpreußen und Schlesien gehört zu Polen – teilweise
zur Sowjetunion – zur Strafe. Rund 12 Millionen Deutsche mussten fliehen – wurde
vertrieben. Darunter meine beiden Großeltern und alle ihre Verwandten - sowie
meine Mutter; weil sie 1944 von Berlin in ihre Heimat zurückkehrte – wegen der
alliierten Bombardements.
Evakuiert wurden die Eltern meines
Vaters und meine Mutter nach Grimmen/Vorpommern.
Nach seiner Kriegsgefangenschaft
arbeitete mein Vater bei einem Bauern in Thüringen – bis er durch die Hilfe des
Roten Kreuzes die neue Anschrift seines Vaters bekam. Seine Mutter war 1946 in
Grimmen gestorben.
Durch die Strapazen der
Kriegsgefangenschaft konnte mein Vater nicht mehr in seinem erlernten Beruf
arbeiten (Friseur). Zunächst war wegen einer TBC-Erkrankung nicht arbeite, und
musste Monate in einem Krankenhaus verbringen.
Da er in Russland schon Kommunist
geworden war, durfte er in der sowjetischen Besatzungszone eine Finanzschule in
Buckow besuchen. Er wurde umgeschult zum Finanzbilanzbuchhalter. Und arbeitete
dann in einer LPG.
Sein SED-Parteibuch gab er nach dem
Arbeiteraufstand am 17. Juni 1953 in der DDR zurück – und trat der kommunistischen
Partei aus. Das konnte man damals ohne Strafe – allerdings der Druck wurde Jahr für Jahr stärker - auch für meinen Vater. Man wollte, dass er der Partei wieder Eintritt.
Und das war der Grund, dass meine
Eltern mit ihren beiden Kindern - und zwei Koffern – am 18. November 1958 nach
West-Berlin „abhauten“, wie man damals sagte. Der tiefe Hintergrund war auch:
alle Geschwistern meiner Eltern, ja nahezu alle Verwandten, wohnten in der
Bundesrepublik.
Für mich als Zehnjähriger war das
trotzdem ein großer Schock. Ich wollte nicht in den kapitalistischen Westen. Die
DDR-Propaganda war in mir wie ein Virus eingedrungen. Ich hatte vor dem Westen
Angst.
Ich fühlte mich wohl in Grimmen/DDR. Ich habe dort nie
gehungert, hatte Freunde, sprach Platt-Deutsch (und wurde deshalb in Berlin
immer gehänselt), liebte meine Schule und meine Lehrerin … und auf den Luxus in
West-Berlin – wie Schokolade, Kaugummi, Wildwest,
Mickey-Mouse-Hefte, die tollen Kuchen und
Torten, schöne Schuhe und Klamotten – konnte ich locker
verzichten.
Wenn ich in Grimmen wieder war -
dann vermisste ich diesen Luxus nicht.
Als meine Eltern mir am 19.
November 1958 in West-Berlin - in der Wohnung
meiner Großeltern – eröffneten, dass wir niemals mehr nach
Grimmen/DDR zurückkehren werden, war ich zutiefst erschüttert. Ich verstand
nichts mehr. Meine Vorstellung von Welt brach in sich zusammen
...
Meine Mutter erzählte mir nach Jahren - als ich um die
16 oder 17 Jahre war - was geschehen war. Ich hätte plötzlich gestottert - und
in Stößen herausgebrüllt: „Was werde Frau Schulz sagen, wenn ich nicht mehr
komme! Und alle meine Freunde."
Frau Schulz war meine Lehrerin, die ich sehr gern mochte.
Dann habe ich einen Heulkrampf
bekommen – habe mich auf's Sofa geworfen – und habe fast eine Stunde heftig
geweint – bis ich aus Erschöpfung eingeschlafen
war.
Mein vorpommersche Gott aus der
Marienkirche hatte mich verlassen.
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