Mittwoch, 9. September 2015

09.09.2015 - Christ III: Mein Gottesdienst

Berta Franz, die 63-jährige Witwe aus dem Hinterhaus in Grimmen - in der Strohstraße 7 -  war evangelisch. Sie ging jeden Sonntag zum Gottesdienst in die Marienkirche - ganz in schwarzer Kleidung. Das war im Jahr 1952.

Sie hatte ihrem Mann verloren - im Ersten Weltkrieg war er als Soldat in Frankreich gefallen.

Berta Franz ging fast jeden Tag in ihren Garten, der außerhalb der Stadt Grimmen lag. Grimmen ist eine schöne, kleine und mittelalterliche Stadt mit drei Stadttoren, in Backsteingotik gebaut - wie auch die Marienkirche und das Rathaus. 

Manchmal nahm mich Berta Franz mit in ihren Garten, ihr Wohnzimmer, wie sie immer sagte. Und ihr täglicher Gottesdienst.

Und bei diesen Garten-Besuchen hatte ich sie oftmals nach Gott gefragt. Und was hat Gott mit Kirche und katholisch und evangelisch zu tun.  Weil meine kleine Freundin von ihrer katholischer Kirche erzählt hatte.

Meine Eltern haben auf meine Fragen zu Gott nicht richtig und meist dümmlich und nichtsagend geantwortet - dachte ich. Deshalb wollte ich ja eine kompetenten Menschen fragen.
Der in die Kirche geht.

Und Berta Franz antwortete auch auf alle meine Fragen: Was ist evangelisch, katholisch, jüdisch, Himmel und Hölle, Engel und Teufel, Gott, Jesus und seine Eltern Maria und Josef, etc..

Sie  aber mit einem strengen, evangelischem Ton: Katholisch ist falsch und die Katholiken seien Papst-gläubig, weil auch der Papst in Rom alles bestimmt, was Katholiken denken - deshalb machen die Katholiken aus ihrem Gottesdienst einen Fasching - und außerdem seien sie dazu auch noch sehr dumm, weil sie nicht richtig an Gott glauben - und die Katholiken meinen, auch Maria, die Mutter von Jesus, sei auch eine richtige Göttin …

Und die Juden, die  gäbe es hier bei uns in Grimmen keine mehr, die sind alle wegzogen, weil sie bösartig waren, Jesus ermordet haben, gelogen und Verbrechen gemacht haben …

Evangelisch … da beantwortete sie nicht richtig, sondern sagte, ich solle mitkommen – mit ihren evangelischen Gottesdienst - in die Marienkirche, meine Taufkirche. Von der hatte auch damals schon ein Foto gehabt.

Als ich vier Jahre alt war, da fragte plötzlich Berta Franz meine Eltern, ob sie mich in den protestantischen Gottesdienst mitnehmen könnte – in die Marienkirche. In meine Kirche.

Meine Eltern, naiv wie sie in Glaubensdingen waren - antworteten: Warum nicht?!?

In der Kirche erklärte mir Berta Franz ganz deutlich: Da steht das Taufbecken, darin bist Du christlich getauft worden.

Die Stille in der Kirche, mein Taufbecken, der große und schöne Raum, die Größe der Kirche, der schöne Gesang, die Worte um und an Gott, die ich nicht verstand – das alles begeisterte mich - fassungslos.

Seitdem ging ich jeden Sonntag, wenn ich in Grimmen (und nicht in Berlin) war, mit Berta Franz – ich musste sie streng "Frau Franz" nennen (nicht etwa Berta, Tante Franz oder Oma Franz - nein, nein, wahrlich nicht) -  mit Frau Franz also ging sonntäglich in die Marienkirche - zu ihrem und meinem Gottesdienst.

Diesen Gottesdienst hatte ich ganz für mich, musste ich nicht nicht mit den Eltern teilen, nicht mit meiner Schwester – ich war der Gesalbte, der Auserwählte … von meiner Prophetin, die Witwe Berta Franz in Grimmen.

Klar. Meine Eltern haben mich gefragt, wie war das in dem Gottesdienst. Und ich spielte ihnen meinen Gottesdienst vor. Theologisch war ich ein blutiger, kleiner Heide ... aber ... im Bademantel meines Vater, mein Talar, und in der Hand das Lexikon, stehend auf einer umgekehrten Holzschüssel ...das war mein Bühne, meine Marienkirche ...

Die Reaktion der Eltern: Sie lachten laut – und fanden das witzig und komisch und mich als Schauspieler einen Komödianten. Sie nahmen mich nicht ernst. Ich aber war von mir begeistert ...

Als ich in die Schule kam, wurde Frau Franz meine ständige Fragerei zuviel. Sie sagte streng: Deine Fragen werden im Kindergottesdienst.  Ich war zufrieden - denn, ich wollte verstehen.
 

Ich befahl meine Schwestern, sich sonntags schön anzuziehen und mitzugehen - in den Kindergottesdienst. Was die auch brav befolgte. Denn ich sprach ja als ihr großer Bruder - als der neue Prophet.

Obwohl ich ja alle halbe Jahr bei meinen Großeltern (in Berlin) in der Andreasberger Straße 6 wochenlang zu Besuch war – ich kann mich nicht darin erinnern, dass meine Großeltern mit mir jemals in einen Gottesdienst in Westberlin gegangen wären. 

Das Essen und Trinken bei den Großeltern in Westberlin schmeckte gut. Und der "Onkel Tobias im RIAS" gefiel mir auch besser als die Kommunisten mit ihren Propaganda-Sprüchen in Grimmen. Aber die Strohstraße 7 war meine geliebte Heimat.

In der Schule in der Grimmen/DDR, da musste ich mit den wenigen evangelisch-christlichen Mitschülern ins Gemeindehaus zum Religionsunterricht pilgern. Denn die DDR war damals schon ein atheistischer Staat – wie der Nazi-Staat zuvor auch.

Und trotzdem ging ich als treuer Kirchengänger brav in die Jungen Pioniere - warum, das weiß ich nicht so genau. Weil es alle so gemacht haben. Und meine Lehrerin es so wollte. Stolz war ich aber auf meine Kirche, meinen Gottesdienst.

Warum? Weil es mir so gefällt - vom ersten Augenblick an.

Was aber war mit den Katholiken?

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