Der
WELT-Autor Tilman
Krause unter der Überschrift
"Ich
will keine Kopie des verlogenen Hetero-Kitschs"
Gegen
Diskriminierung, für die rechtliche Gleichstellung der Homosexuellen: ja, das
versteht sich wohl von selbst. Aber das heterosexuelle Modell der Ehe kopieren?
Bitte mehr Mut zum Anderssein!
Alles
gegen Diskriminierung. Alles für rechtliche Gleichstellung. Das versteht sich
ja von selbst. Und übrigens auch alles für homosexuelle Sichtbarkeit, wo immer
es geht. Sollen die Heteros nach zweitausend Jahren des Totschlagens und vor
allem des Totschweigens sich endlich von der Pike auf die große weite Welt der
Homosexualität erschließen und zur Abwechslung mal schön ihre Augen und Ohren
aufsperren für das, was ihnen entgangen ist und noch entgeht. Sie tun es ja
auch schon. Eigentlich rührend, wie sich die politisch korrekte Speerspitze
bereits für Kurse immatrikuliert, damit sie LGBT richtig buchstabieren und
auseinanderhalten kann. Das soll, darf und muss alles so sein.
Lieber
die "Glorie des Paria"
Aber
Homoehe? Wieso denn? Wegen der rauschenden Roben? Wegen des schönsten Tags im
Leben? Weil sich alle weinend in den Armen liegen können? Diese Kitschorgie,
die einem bei jedem zweiten Heteropaar wie fauler Budenzauber vorkommt, wollen
wir jetzt kopieren, nur weil wir glauben, wir kriegen das noch glamouröser,
romantischer, brillanter hin?
Nein, da
bin ich doch entschieden für die "Glorie des Paria", um einen
französischen Roman der Achtzigerjahre zu zitieren. Und wenn nicht für Paria
und Außenseiter, dann bin ich für Minderheit und Anderssein. Zum homosexuellen
Selbstbewusstsein gehört für mich ohne Wenn und Aber nach wie vor, dass man es
eben gerade nicht wie die Heteros macht. Was, mit Verlaub, ist an den
gegengeschlechtlich Empfindenden denn so großartig? Und außerdem: Wir sind
nicht Kopie, wir sind Originale. Oder wir sollten es doch sein.
Alles
drängt in die Mitte der Gesellschaft
Denn nie
waren wir so wertvoll wie heute. Nie gab es eine Zeit, in der sich freiwillig,
also ohne politischen, totalitären Druck, alles derart konformistisch in die
Mitte der Gesellschaft drängte wie in unseren Tagen. Die ungeheure
Nivellierungsmaschinerie des Internet mit ihren ewig gleichen Like- und
Follow-Floskeln ist dabei, die klebrige Konsens- und Konsumsoße noch in die
hinterste Ecke des globalen Dorfes einsickern zu lassen. Und die letzten
Mohikaner des Abseitigen, meinetwegen Abwegigen knicken auch noch ein? Schöne
neue Welt, nein danke!
Vielleicht
bin ich zu sehr Kind der Siebzigerjahre, vielleicht bin ich zu gern Sand im
Getriebe der Welt, um den Happy-Go-Lucky-Frischwärtsoptimismus einer Generation
teilen zu können, die glaubt, zum homosexuellen Glück gehört nur die
Gleichbehandlung, Vater Staat wird es schon richten. Was heißt außerdem Glück?
Homosexuelle
könnten Vorreiter des Nonkonformismus sein
Meine
bescheidene Überzeugung steht leider unverrückbar fest: Wer Glück ausschließlich
rechtlich oder materiell definiert, bleibt bei der Ich-Schablone, bringt es
nicht zum Ich. Zum Glück gehören auch der Schmerz, der Sinn für Tragik und fürs
Transzendente, zum Glück gehört die (gemeisterte!) Schwierigkeit zu sein. Das
Glück ergibt sich aus den stufenweisen, von Rückschlägen und Vorwärtsbewegungen
mühsam ausbalancierten Versuchen, mit sich selbst ins Reine zu kommen. Arbeit
am rauen Stein! Äußerlichkeiten, Rituale, vorgegeben Muster helfen dabei, das
ist klar. Aber davon alles abhängig zu machen, kann keine Lösung sein.
Mir träumt
von einer Gesellschaft, in der die Menschen sich in Eintracht und Vielfalt
verwirklichen. In der Menschen, statt ihre Energie damit zu verschwenden, wie die
anderen zu werden, herausfinden, was ihr ureigenes Wesen ist. Dabei können
Homosexuelle Vorreiter sein, jedenfalls solche, die gelernt haben, sich infrage
zu stellen, weil sie es mussten. Und das ist immer noch die Mehrheit. Das hohe
Gut, das sie sich bei der Entdeckung ihrer von der Norm abweichenden Sexualität
erworben haben, sollten sie mehren, anstatt es auf dem Altar der
Heterosexualität zu opfern. Die Homoehe sollten sie schlicht und ergreifend
nicht nötig haben.
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